Glaube, Psychologie, Leben

zurück

Will Gott mich in Versuchung führen? Meine „beziehungslogische“ Antwort

Gott versucht niemanden, beruhigt mich Jakobus, (Jak 1,13). Jesus wiederum schlägt vor, den Vater darum zu bitten: „… und führe uns nicht in Versuchung“ (Mt 6, 13).

Das verwirrt zunächst und als Pabst Franziskus vor zwei Jahren in einem Interview vorschlug, in der französischen Kirche die Bitte im Vater Unser „unterwerfe uns nicht der Versuchung“ (soumettre) besser so zu übersetzen: „Lass uns nicht in Versuchung geraten“ (‚entrer‘ wörtl. eintreten) – da wurde die Diskussion über diese Bitte auch bei uns neu entfacht.

Denn passt sie, auch in der deutschen Formulierung, zum Wesen Gottes? Will er uns in Versuchung führen?

Keines der Änderungsargumente fand ich überzeugend. Nicht nur wegen sinnvoller Gegenargumente. Ich denke, dass wir oft den Fehler machen, Bibeltexte unter einer modernen oder auch philosophischen Logik zu interpretieren. Dann finden wir Probleme und Widersprüche, die bei einer, ich nenne es ‚beziehungslogischen‘ Interpretation gar nicht entstehen

Die Bibel ist ein Beziehungsbuch, eine Offenbarung von Gottes Liebe zu uns, und sie muss mit der Logik von Beziehungsdynamiken gelesen werden.

Was könnte das für unsere Vater-Unser-Bitte bedeuten?

Mit den Bitten des Vater Unser nehmen wir Kontakt auf zum himmlischen Vater und klinken uns in SEINEN Willen, SEINE Perspektive ein und erinnern wohl eher uns selbst als Gott daran, was wir von ihm brauchen.

So bitten wir Gott im Prinzip nicht um etwas, was ER uns ohne unsere Bitte nicht geben würde. Wir sollen im Vater Unser z.B. um das tägliche Brot bitten, obwohl Jesus, kurz bevor und nachdem er seine Jünger dieses Gebet lehrt, sie und uns ermutigt, dass „unser Vater weiß, was wir brauchen“ sogar bevor wir ihn bitten (Mt 6,8 & 6,32).

Mit der Bitte ‚um mein täglich Brot’ muss ich Gott nicht unterstellen, dass er mich nicht versorgen würde. Die Bitte ‚führe … nicht in Versuchung‘ muss nicht bedeuten, dass ich davon ausgehe, Gott wolle dies tun. Wenn ich im Alltagsleben einem Menschen gegenüber sage „Führe mich nicht in Versuchung!“ ist das je nach Beziehungssituation eine oder keine Vermutung, dass mein Gegenüber so etwas beabsichtigt (z. B. wenn ich weiß, dass er mir mit guter Absicht einen köstlichen Kuchen anbietet). Dieselbe Formulierung kann je nach Beziehungssituation Verschiedenes bedeuten.

Was könnte die Bitte in der Beziehungsdynamik mit Gott ganz praktisch für uns bedeuten?

Zuerst möchte ich sie dazu noch einmal möglichst wörtlich aus dem griechischen Urtext wiedergeben: „Und mögest Du uns nicht hineinbringen in Versuchung, sondern berge uns weg von dem Bösen.“ Dabei kann grammatikalisch das Böse oder der Böse gemeint sein.

Ich glaube die gefährlichste Versuchung für jeden Christen ist es, die Gnade Gottes zu missbrauchen.

Gott führt mich hinein in den ‚Gnadenraum‘ seiner Vergebung und Errettung und ich darf mir des Heils gewiss sein. Daran kann ich mich gewöhnen, wie man so schön sagt. Doch da wird es nun gefährlich: Wie leicht fange ich an, diesen ‚Gnadenstand‘ für selbstverdient zu erachten, mich subtil als besser als die ‚Nicht-Erretteten‘ zu fühlen und mit ‚Mitleid‘ auf sie herabzusehen. Auch mein Vergeben geschieht dann von oben herab statt aus der Perspektive des mitbetroffenen Sünders, dem ganz unverdient Vergebung geschenkt wurde.

Ebenso möchte mich Gott in den ‚Vollmachtsraum‘ der Geistesgaben (griech. ‚charismen‘ wörtl. ‚Gnadenauswirkungen‘) führen. Sobald ich Erfahrungen mit der Vollmacht in Christus mache, kann mir leicht dasselbe passieren wie den Jüngern, die in ihrer Begeisterung über ihre Macht über das Böse die Gefahr nicht sehen und von Jesus ermahnt werden: „Doch darüber freut euch nicht, dass euch die Geister untertan sind; freut euch vielmehr, dass eure Namen in den Himmeln angeschrieben sind.“ (Lk 10,20 Elbf.)

Durch die ganze Geschichte hindurch geschah es, dass frommen Menschen der Raum der Geschenke Gottes (Vergebung, Vollmacht, Erkenntnis, …) zum Versuchungsraum wurde, in dem sie vom Bösen subtil in Hochmut verführt wurden. Ich glaube, dass dadurch dem Reich Gottes mehr geschadet wurde als durch die offensichtlicheren Versuchungen.

Aktuell, in der Corona-Krise, bitte ich z.B. Gott, dass er mich in seinem Gnadenraum nicht in die Versuchung führt, dass ich mich innerlich über die Angst anderer erhebe oder die Krise als ein Gericht Gottes über die gottlose Welt ansehe, von dem ich ja zum Glück nicht betroffen bin. Ich bitte ihn, dass ich das höre und tun kann, wozu er mich durch diese Krise herausfordert, zu lieben und zu helfen, und wie er meine Sünden darin aufdeckt und korrigiert (die biblische Hauptbedeutung von ‚richten‘!).

Das Beste, was mir passieren kann, nämlich mich tiefer in die Wunder des Reiches Gottes führen zu lassen, wird leicht und oft schleichend vom Bösen (in mir und um mich) benutzt, um genau das Reich Gottes mit meinem subtilen Hochmut zu verunreinigen.

Wenn das so ist, füllt sich dann nicht diese Vaterunser-Bitte mit tieferem Sinn, als Seufzer: „Bring mich da gar nicht erst rein in diese Gefahr oder besser/vielmehr berge/ziehe mich aus dem Griff der Verführung des Bösen, der im Raum Deiner Gnade lauert.“