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Angst ist kein guter Ratgeber. Doch man kann sie dazu machen.

Angst gehört zu den unangenehmen Gefühlen. Lesen Sie – oder hören Sie ausführlicher im Interview – warum Wolfram Soldan dennoch überzeugt ist, dass wir sie brauchen und sogar zu einem guten Ratgeber machen können!

Angst: Wir haben Angst

Wir haben sie nicht gerne. Wir zeigen sie nicht gerne. Wir versuchen, sie zu verdrängen. Und doch überwältigt sie uns immer wieder.

In der jetzigen Krise verschlimmern manche die Situation durch Angstreaktionen (Hamsterkäufe, anderen aus Angst nicht helfen, höhere Infektanfälligkeit bei hohem Angst-Stress-Level). Ebenso richten andere durch Angstverdrängung Schaden an, indem sie die Gefahren nicht ernstnehmen, sich nicht an Vorsichtsmaßnahmen halten, sie manchmal sogar bewusst trotzig unterlaufen.

Angst, ein Ausdruck menschlicher Unvollkommenheit

Im ersten Johannesbrief finden wir die Stelle: „Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus. Denn die Furcht rechnet mit Strafe; wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe.“ (4,18, L 2017)

Das könnte man so verstehen, dass Angst immer damit zu tun hat, dass man nicht ausreichend mit Gott, der vollkommenen Liebe, in Verbindung ist. Für das wichtigste neutestamentliche Wort für Furcht oder Angst (Phobos) findet man zum Beispiel auch keine Anwendung auf Jesus.

Dennoch spricht viel dafür, dass Jesus in Erwartung seines Kreuzestodes Angst verspürte, auch wenn dafür andere Worte wie (angstvolles) Todesringen, Schwitzen von Blut, Erschauern, Zusammengedrücktwerden und sich unheimlich fühlen verwendet werden.

Angst gehört zum menschlichen Leben hier auf Erden – und so unangenehm sie ist, sie kann uns sogar dienen, wenn wir lernen, wie wir mit ihr umgehen.

Die Angst wahrnehmen

Angst ist ein Gefahrenwarner. Sie zeigt mir, dass irgendein Schaden oder Verlust droht oder schon im Gange ist und sich vertiefen könnte und dass ich gerade noch nicht weiß, was ich am besten dagegen tun kann.
In dieser Funktion sollte Angst zuerst einmal bewusst wahrgenommen werden. Wenn ich sie nämlich ‚nicht wahrhaben will‘, bin ich der Gefahr möglicherweise unvorbereitet ausgeliefert oder ich merke nicht, wie mein trotz aller Verleugnung vorhandener Angstlevel mich hindert, dass ich klar denken und Lösungsideen finden kann.
Nachdem ich meine Angst bewusst wahrgenommen habe, sollte ich sofort ohne Verzögerung Halt suchen. Ich brauche ein Mindestmaß in innerem Gehaltensein, an Sicherheit, um in der Gefahr gute Lösungen zu finden.

Einen sicheren Ort finden

In der Psychotherapie redet man von sogenannten sicheren Orten: Das können erstens tatsächliche Orte wie die Wohnzimmercouch, die Badewanne, das Bett oder das Auto sein, zweitens auch innere Zustände wie eine schöne Erinnerung oder sich innerlich in eine geborgene Situation hineinzuversetzen und drittens vertrauensvolle Beziehungen. Wenn ich mich als Christ an einen guten Ort zur Begegnung mit Gott zurückziehe – also bete – habe ich gleich alle drei Sorten von sicheren Orten gleichzeitig genutzt.

In manchen Situationen ist es schwierig, an solch einen sicheren Ort zu kommen. Man kann es aber durchaus trainieren und es gibt auch Anleitungen für Entspannungsübungen, Imaginationen oder kontemplatives Gebet.

Oft hilft schon eine Einstellungsänderung: Früher habe ich, wenn ich in einer Situation als Therapeut verunsichert war, die Unsicherheit weggeschoben und auf das zurückgegriffen, was ich am besten kann. Inzwischen heiße ich die Verunsicherung, also eine leichte Form der Angst, bewusst willkommen, ziehe mich innerlich eine angemessene Zeit zu Gott zurück und bin neugierig, welche neuen Möglichkeiten dann auftauchen. Und die tauchen dann meistens auf.

An meinem persönlichen sicheren Ort kann ich zur Ruhe kommen und mich dann auch bewusst – auf einem jetzt reduzierten Stresslevel – mit den Gefahren und Chancen beschäftigen.

‚Gottesfurcht‘ und Angst

Es ist interessant, dass die zwei Wortstämme, die im AT und im NT meistens für Furcht / sich fürchten stehen (jare, phobeo) auch Alltagsworte für Angst sind und deshalb in neueren Übersetzungen oft mit Angst übersetzt werden. Doch die Substantivform dieser Wortstämme steht meistens für Gottesfurcht (im AT zu 90%, im NT ca. 50%). Hier übersetzen moderne freiere Übersetzungen meist mit „Ehrfurcht“.

Warum im Urtext von ‚Gottesfurcht‘, was man eben sogar mit ‚Gottesangst‘ übersetzen könnte, und nicht einfach von Ehrfurcht geredet wird, finde ich spannend. Es gäbe sowohl im Hebräischen als auch im Griechischen noch andere Worte für Ehrfurcht und doch wird dieses ‚Angstwort‘ am häufigsten gebraucht.

Ich erkläre mir das so: Furcht oder Angst ist wahrscheinlich das Gefühl, das mich am meisten beeindruckt und ggf. auch gleichzeitig in Bewegung setzt (Alarmbereitschaft). Was kann ein stärkeres Gegenmittel gegen alle anderen Ängste sein, als die Furcht davor, sich von Gott zu entfernen oder ihn zu enttäuschen?!

Denn Gottesfurcht ist nicht Angst vor Gott (im Griechischen wie im Deutschen grammatikalisch unterscheidbar). Es ist ein gesundes Erschrecken vor der Heiligkeit, Liebe und Macht Gottes, das durchaus mit einer gewissen furchtgetönten Alarmbereitschaft verbunden sein kann, aktiv auf der Seite Gottes zu kämpfen. Manchmal ist es auch ein eher geistiges Ergriffensein von der liebevollen Majestät Gottes ohne unmittelbar spürbare ‚Zittrigkeit‘ – also Ehrfurcht, wobei ja interessant ist, dass dieses Wort im Deutschen trotzdem den Wortteil ‚Furcht‘ in sich trägt.

Richtig verstandene Gottesfurcht ist der geschützteste, sicherste Ort oder innere Zustand oder die sicherste Beziehungsbindung, die in dieser unsicheren Welt möglich ist.

Umgang mit der Angst in einer unfriedlichen, krisengeschüttelten Welt

Jesus sagt zu seinen Jüngern beim Abschied vor seinem Kreuzestod (Joh 16,32f):

„Siehe, es kommt die Stunde und ist schon gekommen, dass ihr zerstreut werdet, ein jeder in das Seine, und mich allein lasst. Aber ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir. Dies habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ (L 2017)

Hier beschreibt Jesus SEINEN eigenen sicheren Ort in der Drangsal (der Vater ist bei mir) und stellt nüchtern fest, dass wir in dieser Welt Angst haben – wie Luther das Wort für Bedrängnis übersetzt. Jesus selbst aber will unser sicherer Ort sein, wenn er sagt: „… damit ihr in MIR Frieden habt“.

Wir dürfen gewiss sein, dass ER die uns Angst machende Welt besiegt hat und zwar gerade dadurch, dass er wahrnehmend mitten durch die schlimmstmögliche Angst und Drangsal hindurchgegangen ist, ohne jede Verdrängung, bis er zur Auferstehung gelangt ist, die wir bald zu Ostern feiern.

Deshalb kann er unsere Angst zutiefst nachvollziehen, eigentlich hat er sie schon vorvollzogen, und kann uns darin in großer Nähe beistehen. Das Beste steht uns in jedem Fall noch bevor, auch wenn es vorher durch Krisen, Turbulenzen und Nöte geht, in denen wir aber nicht allein sind.

Jesus hat während SEINES Leidensweges dauernd für seine Jünger gesorgt und vorgesorgt. Dasselbe ermöglicht er uns mit SEINER Hilfe im Rahmen unserer Möglichkeiten unseren Mitmenschen gegenüber. Die Welt der Krise ist schon besiegt in IHM.

Wolfram Soldan am 06.04.2020