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Die menschliche Würde – Gedanken von 2018, hochaktuell 2020

„Irgendwas stimmt da nicht“, meinte Katrin Kroll in einem Vortrag 2018. “Wenn ich beobachte, wie Menschen verschiedener Nationalitäten miteinander umgehen oder wenn ich höre, wie in Politik und Gesellschaft über Menschen gesprochen wird… und wenn ich in Kontakt mit Klienten komme, die mir berichten, wie andere Menschen ihnen begegnet sind und wie sie anderen begegnen… Hier fehlt etwas. Etwas, was der Begriff der Würde für mich ausstrahlt und was ich mir für den Umgang zwischen uns Menschen wünsche: Respekt, Schutz, Wertschätzung und Liebe.”

Gewürdigt werden, Würde besitzen

Neben der Würde, die mit einer Stellung oder einem Amt verbunden ist („Würdenträger“) und mit wertschätzendem Verhalten gegenüber diesen Personen, ist jeder Mensch ein Wesen, das eine Würde untrennbar und bedingungslos in sich trägt. Besonders in der christlichen Anthropologie wird betont, dass der Mensch als Ebenbild Gottes eine spezielle Stellung, einen Wert an sich hat. Diese außergewöhnliche Bedeutung spiegelt sich für mich in den Worten des Psalms 139:

Denn du hast meine Nieren bereitet und hast mich gebildet im Mutterleibe.
Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin;
wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele.
Es war dir mein Gebein nicht verborgen, da ich im Verborgenen gemacht wurde,
da ich gebildet wurde unten in der Erde.
Deine Augen sahen mich, da ich noch nicht bereitet war,
und alle Tage waren in dein Buch geschrieben,
die noch werden sollten und von denen keiner da war.

Gottes Augen ruhen auf dem werdenden Geschöpf. Er verfolgt seine Entwicklung. Der ganze biblische Befund zeugt von Gottes Bezogenheit auf den Menschen. Und von seiner Wertschätzung für uns.

In Verbindung und Entwicklung

Was bedeutet dieser Wert nun? Ist er gleichzusetzen mit dem Preis, den eine Sache hat?

Man kann diese Frage von ganz verschiedenen Standpunkten aus angehen:

  • Was ist menschliches Leben politisch gesehen wert? Welche Bemühungen unternehmen wir, Menschen gleich zu behandeln? Welche Unterstützung soll allen Menschen gleich zugänglich sein?
  • Was ist menschliches Leben medizinisch gesehen wert? Welche medizinische Hilfe bekommt welcher Mensch? Wie lange verlängern wir menschliches Leben? Wie sehen wir Organspende?
  • Was ist menschliches Leben sozial gesehen wert? Welche Bedeutung hat der einzelne in der Gruppe? Wie verstehen wir Demokratie? Wie kümmern wir uns als Gesellschaft um einzelne und deren Bedürfnisse und Grenzen? Geben wir unterschiedlichen Personen unterschiedliche Bedeutung – Frauen, Männern, Kindern, alten Menschen, Menschen mit Behinderungen etc.?
  • Was ist menschliches Leben religiös gesehen wert? Wie gehen wir mit Menschen um, die nicht unsere Religion teilen? Welche Bedeutung messen wir der Beziehung zu Andersgläubigen zu?

Solche und ähnliche Fragen tauchen in unserem Alltag immer wieder auf und prägen unseren Umgang miteinander. Es ist allerdings nicht leicht, sich zu einigen, welche Maßstäbe für ein würdeorientiertes Leben denn nun gelten.

Beziehungserfahrungen

In meinen Recherchen habe ich eine Aussage von Gerald Hüther – einem modernen Hirnforscher – zu menschlichen Beziehungserfahrungen gefunden, die mich sehr beeindruckt hat (Hüther, G. 2018. Würde. Albrecht Knaus Verlag, München, S. 86f): „Je stärker dabei die Erfahrung von sowohl Geborgenheit und Verbundenheit als auch eigener Gestaltungsfähigkeit und Autonomie am eigenen Leib gemacht und im Gehirn verankert werden konnte, desto wahrscheinlicher wurde es, dass Menschen allmählich auch eine Vorstellung ihrer Würde zu entwickeln begannen.“

Begrenzt sein

Eine spannende Ergänzung zum Thema kam mir in Literatur entgegen, die sich mit dem Sterben und dem Tod befasst. So postuliert zum Beispiel Luise Reddemann, Professorin und Fachfrau zum Thema Trauma, in ihrem Buch „Würde“ (Klett-Kotta, 2013), dass ein gesundes Gefühl der Würde damit einhergeht, dass wir uns der eigenen Endlichkeit bewusst werden. Sie schreibt, dass mit dem biblischen Satz „Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ eine tiefe Wahrheit verbunden ist. In ihrer Arbeit mit traumatisierten Menschen fällt ihr auf, dass die Fähigkeit, eine gute Wahrnehmung für die eigene Würde zu entwickeln und sich entsprechend zu verhalten, zunimmt, je höher die Akzeptanz für die eigene Begrenztheit und die Begrenztheit der Welt ist.

Die menschliche Würde entdecken helfen

Während meiner Auseinandersetzung mit dem Thema „Würde“ habe ich eine große Freude in mir entdeckt: Wir haben eine Würde geschenkt bekommen. Sie ist uns eingewoben und untrennbar mit uns verbunden. Selbst wenn uns jemand entwürdigend begegnet, dürfen wir daran festhalten, dass wir einen Wert haben.

Wenn ich mir das vor Augen halte, bin ich begeistert darüber, was für ein unglaubliches Geschenk Gott uns damit macht. Gerne möchte ich das weitergeben und andere daran erinnern oder ihnen davon erzählen.

Hinweisen und Vorbild sein

Allerdings ist es wohl in diesem Thema wie in vielen anderen Bereichen: Die Menschen werden genau hinschauen, wie ich meine Beziehungen selbst lebe.

  • Wie gehe ich mit mir und meinen Ressourcen um?
  • Wie gehe ich mit meinen Mitmenschen um?
  • Wie gehe ich mit Gott um?

Ich möchte gerne dafür werben, dass wir anderen ein Vorbild darin werden, selbst in diesen Bereichen zu lernen und zu üben.

Akzeptanz einüben

Wir Menschen sind nicht perfekt und leben in einer imperfekten Welt. Das könnte uns dahin bringen, zu denken, dass wir die Würde besser über Bord werfen, weil es ja sowieso keine guten Beziehungen und Entwicklungen gibt. Deshalb wäre es doch sinnvoller, einfach das zu tun, was man will… Wenn wir einen anderen Weg gehen wollen, müssen wir akzeptieren lernen, dass es eine Würde zu verteidigen gibt, selbst wenn die Welt und wir Menschen nicht perfekt sind.

Neue Verhaltensweisen einüben

Es ist offensichtlich, dass würdevolles Verhalten erlernt werden will – in der Beziehung zu mir selbst, zu anderen und zu Gott. Dabei können und müssen wir uns gegenseitig unterstützen, ermutigen und sogar ermahnen.

Menschliche Rechte und Pflichten

Bei meinen Recherchen bin ich natürlich auch auf die Beschreibung der Menschenrechte nach der UN Konvention gestoßen und war wieder berührt von der großen Idee, die mir dort begegnet: dass Menschen gleich behandelt werden sollen, nicht mehr Sklaven sein dürfen, dass sie ein Recht auf Versorgung, Schutz und Bildung haben, frei sind, sich eine eigene Meinung zu bilden und sich zu informieren, zu denken und sich einem Gott anzuschließen…

Es berührt mich sehr, dass wir Menschen es schaffen, das, was Gott uns ins Herz geschrieben hat, umzusetzen. Und sei es wenigstens in der Hinsicht, dass wir es uns in unseren Zielen und Vorsätzen vornehmen, Menschen zu achten und gut mit Ihnen umzugehen.

Lasst uns gemeinsam daran arbeiten, dass die Rechte, die mit unserer Würde verbunden sind, in unseren Gesellschaften und Gemeinden auch umgesetzt werden! Das kann damit anfangen, dass wir dem Bruder und der Schwester zuhören, sie respektieren und jedem einen guten Platz in unserem sozialen Gefüge in Gemeinschaft zuerkennen und ermöglichen.

Die Rechte verwirklichen sich, wenn wir gleichzeitig unsere Pflicht als von Gott geschaffene Menschen wahrnehmen. Der gesamte biblische Befund macht klar, dass wir uns unserer Würde entsprechend verhalten sollen. Das ist eine Herausforderung Gottes. Er weiß genau, dass uns das nicht leicht fällt.

Die Vision: eine würdevolle und würdigende Gemeinschaft

Wie unglaublich reich wären unsere Gemeinschaften und Gesellschaften, wenn wir das – und sei es nur ein Stück mehr – verwirklichen. Uns selbst nicht klein machen und für falsche Anerkennung „verkaufen“, andere nicht instrumentalisieren und abwerten, sondern vielmehr neu ergreifen, welche Kostbarkeit in uns und anderen steckt.

Natürlich gibt es Tage, wo man uns diese Kostbarkeit nicht ansieht. Und in einigen Situationen wird diese Kostbarkeit so mit Füßen getreten, dass sie fast nicht mehr erkennbar ist.

Es ist eine der großen Zusagen Gottes: Ich habe Dich je und je geliebt und darum habe ich Dich zu mir gezogen – aus lauter Güte. (Jeremia 31,3). Er gibt uns diese Würde nicht aus Kalkül und nicht unter irgendwelchen Bedingungen. Er liebt uns. Das ist der Quellort der menschlichen Würde. Der verändert sich nicht. Ganz egal, wie wir damit umgehen.

Es ist eine wichtige Botschaft und eine großartige Vision: Gott gibt uns Würde.
Lasst uns danach streben, das in unserem Leben sichtbar werden zu lassen.

Katrin Kroll

Ausführlich hat Katrin dazu im November 2018 in einem live dabei Vortrag gesprochen: „Die menschliche Würde entdecken helfen“ (ca. 60 Min.)
zu beziehen über www.ignis.de/shop