Glaube, Psychologie, Leben

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Glaube und Erfahrung

Lassen wir Glaubenswahrheiten nicht an der Erfahrung scheitern!
Aber auch umgekehrt: Lassen wir unsere Erfahrung der Glaubenswahrheit zuliebe nicht unter Verschluss!

Christine Busch, Christliche Beraterin, erzählt im >>> Podcast oder hier im Blog, warum ihr beides so wichtig ist:

Wenn Menschen zu uns kommen, die eine Diskrepanz wahrnehmen zwischen dem, was sie glauben bzw. glauben sollten, und dem, was sie im tatsächlichen Leben erfahren, dann haben sie meist eine große Not damit, weil der Glaube ja scheinbar nicht „funktioniert“.
Und manchmal sind auch wir Seelsorger dann ziemlich ratlos. Vielleicht ist es sogar unser eigenes Thema?

Das Auto ist rot. Das Auto ist blau.
Mir hat es geholfen, das mögliche Dilemma zwischen Glaubensaussagen und Erfahrungsberichten mit einem einfachen Bild theoretisch ein wenig zu beleuchten, um so für mich selbst und in der Begleitung anderer Menschen Verständnis zu gewinnen.

Bei zwei widersprüchlichen Aussagen kann ja eigentlich nur eine wahr sein, oder?
Wenn der eine sagt: „Das Auto ist rot!“, und der andere: „Das Auto ist blau!“ – dann können ja wohl nicht beide recht haben.

Das kann natürlich sein, der eine kann sich vielleicht wirklich in der Farbe geirrt haben. Aber es gibt noch viele andere Lösungen.

Ich sehe ein rotes Auto. Der andere sieht ein blaues Auto.
Vielleicht ist das Auto eher lilafarben, und je nach Beleuchtung sah das mehr nach rot oder mehr nach blau aus? Kennt jemand noch diese orangefarbenen Straßenlampen, unter denen die Farben plötzlich ganz komisch aussahen? Vielleicht ist das Auto auch in zwei Farben lackiert, auf der einen Seite rot, auf der anderen blau? Oder habt ihr schon mal so einen Flip-Flop-Lack gesehen, der je nach Blickwinkel eine andere Farbe bekommen hat? Und am Ende könnte es sogar sein, dass die beiden nicht einmal über dasselbe Auto gesprochen haben!

Mit der menschlichen Wahrnehmung und Erkenntnis ist das nicht so einfach. Wir unterliegen ganz schnell irgendwelchen Irrtümern, sind aber felsenfest überzeugt, dass es so und nur so sein kann.

Gottes Wort sagt… Ich erlebe…
Soweit zur Theorie – nur was hat das mit dem Thema Glaube und Erfahrung zu tun?
Auch hier können wir es mit zwei verschiedenen Aussagen zu tun haben, die sich beim ersten Draufschauen widersprechen. Da lese ich z.B. in Psalm 91: „Denn er hat seinen Engeln befohlen, … dass … du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.“ Doch dagegen steht meine Erfahrung, dass ich gerade erst vor kurzem gestolpert bin und mir böse das Bein gebrochen habe. Mein Fuß ist an einen Stein gestoßen.

Wenn ich jetzt meine Überlegungen von oben nehme, dann kann es natürlich sein, dass nur eine der beiden Aussagen stimmt. Also im Extrem gesprochen: Entweder meine Beinbruch-Erfahrung stimmt und zeigt folglich, das Gottes Wort unzuverlässig ist (und mein Glaube bekommt zumindest eine Erschütterung). Oder es stimmt, dass Gott mich schützt, dann muss meine Beinbruch-Erfahrung irgendwie verneint werden.

Wir kennen das aus unserem Leben sicher: Menschen, die an irgendeiner Stelle den Glauben verlieren, weil die Glaubensaussagen sich nicht mit ihren Erfahrungen im Leben decken. Oder Menschen, die mit irgendwelchen Konstrukten versuchen, nicht-passende Erfahrungen umzudeuten. Da fallen dann Sätze wie: „Du hast nicht genug gebetet.“ oder „Du musst das nur im Glauben ergreifen und proklamieren, dass du es schon empfangen hast.“ oder „Vielleicht gibt es noch irgendeine Sünde in deinem Leben?“

Aber wie können wir nun selbst mit solchen Widersprüchen umgehen – und was hilft, wenn wir Menschen begleiten, die gerade solche Fragen umtreiben?

Gottes Wort sagt… Ich höre hin…
Wichtig ist hier die Erkenntnis aus der Autofarbengeschichte: Es gibt noch viele andere Deutungsmöglichkeiten und manchmal sehen wir diese einfach nicht.
• Ich finde es wichtig, solche (scheinbaren) Widersprüche nicht zu leugnen, sondern sie erst einmal auszusprechen. Allein dass es sein darf, ist oft schon wohltuend.
• Und dann können wir für uns bzw. gemeinsam mit dem Ratsuchenden Gott im Gebet um Rat fragen, was er dazu denkt.
• Dabei wollen wir offen sein in alle Richtungen: Vielleicht haben wir Gottes Wort falsch verstanden? Vielleicht haben wir einen Aspekt übersehen? Vielleicht müssen wir aber auch unsere Erfahrung in einem anderen Licht betrachten? Nicht als krampfhaftes Wegleugnen, sondern weil Gott uns dazu eine neue Sicht schenkt?
• Und manchmal müssen wir es auch aushalten, dass es keine schnelle Antwort gibt.

Auch Menschen zu begleiten heißt nicht, immer auf alles eine Antwort zu haben. Begleitung kann ebenso heißen, einfach nur an der Seite zu stehen, Beziehung und Halt zu schenken und gemeinsam vor Gott zu stehen.

Ich habe es selbst erlebt, dass eine Seelsorgerin meine Zweifel und Fragen über mehrere Jahre mit mir ausgehalten hat und einfach an meiner Seite war. Das war so wohltuend. Ich fühlte mich gesehen, angenommen und ernstgenommen. Und es hat mich selbst geprägt, wie ich heute mit Menschen umgehe, die mit ähnlichen Fragen zu mir kommen.

Christine Busch, November 2022