Glaube, Psychologie, Leben

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Von Anfechtung und Freude

Sich in und über Anfechtung zu freuen, ist in der Regel nicht unsere spontane Gefühlsreaktion. Seine Fragen, warum Jakobus dennoch dazu auffordert (vgl. Jak 1, 2ff), konnte Wolfram Soldan in einem fiktiven Traumgespräch stellen – und fand Antworten, die auch für den realen Alltag taugen.

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Heute Nacht habe ich Jakobus getroffen. Den Jakobus, der den Jakobusbrief geschrieben hat. Okay, es war im Traum. Aber sehr real. Und für die Theologen: Nein, er hat mir nicht gesagt, ob er der Bruder des Herrn ist oder nicht. Doch Gott habe ihm erlaubt, mit mir über das Thema Anfechtung zu sprechen, weil es mich so sehr beschäftigt.

Das war ein Angebot! Ich stellte ihm gleich die erste Frage:

Wenn ich Dich richtig verstehe, Jakobus, dann sagst Du in deinem Brief im ersten Kapitel, dass wir jegliche Art von Anfechtung, Prüfung oder Versuchung als Freude verbuchen sollen. Doch:
Freude – ist das nicht etwas zu extrem, wenn nicht gar unrealistisch?

„Auf den ersten Blick ja. So ging es auch den Zwölfen, als unser Herr am Vorabend seines Todes zu ihnen sagte: ‚Wenn ihr mich liebtet, würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe, denn der Vater ist größer als ich.‘ Da haben sie sich alles andere als gefreut! Sie hatten noch gar nicht verdaut, dass er immer wieder von seinem Leiden und Tod sprach und ahnten Schreckliches. Zu Recht! Sie ahnten aber überhaupt nicht, zu welchem Sieg und welcher Herrlichkeit es letztlich führen sollte. Sie verstanden nichts vom größeren Ganzen. Sie konnten nicht in die Zukunft schauen, obwohl der Herr auch von seiner Auferstehung sprach und dass er alle zu sich ziehen würde. Sie begriffen das überhaupt nicht. Aber jetzt, nach der Auferstehung, können wir in die herrliche Zukunft sehen. Was ich mit Freude meine, ist wie ein mutiger Sprung in die Zukunft, die versprochen ist.“

Ein mutiger Sprung, das gefällt mir. Aber was gibt mir diesen Mut?

„Wenn ich den GRÖSSEREN erkenne, der hinter und in allen Prüfungen auf mich wartet, bewährt sich mein Vertrauen auf IHN. Das stärkt mein Durchhaltevermögen, bis in die Vollendung bei unserem Herrn. Auch wenn es Zeit braucht, kann ich mich schon jetzt auf das letztendlich sichere Ergebnis freuen. Warum sollte ich nicht jetzt schon damit anfangen? Warum sollte ich es nicht jetzt schon als Freude verbuchen? Den mutigen Sprung in die Zukunft wagen, die sicher ist, weil Gott größer ist.“

Gott ist größer. Aber wird deshalb in meiner Zukunft automatisch alles gut?

„Automatisch – dieses Wort kenne ich nicht, aber mein Griechisch sagt mir, dass es bedeutet, etwas passiert ganz von selbst.

Das passt natürlich nicht. Deshalb schreibe ich weiter, dass wir Gott um Weisheit bitten sollen. Weisheit brauchen wir, um in den verschiedenartigen Herausforderungen am Glauben festhalten zu können und im Durchhaltevermögen zu wachsen. Jede schwierige Situation verlangt da nach einem eigenen – eben weisen – Umgang. Das gute Ergebnis kommt also nicht automatisch, wie Du das nennst, sondern nur in der immer wieder empfangenen Nähe zu unserem Gott. Aber mit ihm zusammen nenne ich das Endergebnis sicher, weil ER ja an mir festhält.“

Gott um Weisheit für jede Situation bitten. Du schreibst, dass wir im Glauben um diese Weisheit bitten müssen, ganz ohne zu zweifeln. Doch wann habe ich jemals einen 100%igen Glauben ohne den leisesten Zweifel? Wie soll ich das denn schaffen?“

„Ah ja, ich merke schon, Du denkst in Eurer Zeit und Kultur über den Glauben wie über eine Sache, die perfekt sein muss, genau und fehlerfrei, hier also ohne Restzweifel. Das ist ein Missverständnis, das meine ich gar nicht mit ‚ohne zu zweifeln‘.

Was ich meine ist: Gott ist der weise Beurteiler der Situationen, die dich treffen. Ein Zweifler bist du, wenn du ihn um seine Weisheit bittest und trotzdem irgendwo an deiner eigenen Beurteilung klebst. Wie kannst du dann SEINE Weisheit in dein Herz aufnehmen? Oder wenn du beginnst, SEINE Weisheit in dir zuzulassen, und doch wieder dein Urteil drüber schiebst, welches ja gerade von den Kräften der Anfechtung, Versuchung, Prüfung gebeutelt wird. Dann gleichst du einem Wind und Wellen ausgelieferten Boot und kannst keinen beständigen Kurs halten. Schwerlich wirst du so durch die Stürme des Lebens an das – eigentlich sicher verheißene – Ziel der Ganzheit, der Integrität, der Gottesebenbildlichkeit in Gottes Licht und Herrlichkeit gelangen.“

Das heißt, einzelne Zweifel sind gar nicht das Problem, sondern meine grundsätzliche Haltung, die Richtung, wie ich unterwegs bin?

„Die Existenz als Zweifler, wie ich ihn hier beschreibe, ist die Existenz von jemand, der am eigenen Urteil über seine Probleme kleben bleibt und die Bewertung Gottes einfach nicht an sein Herz ranlassen kann. Es ist also jemand, der sein eigenes Urteil über die Bewertung Gottes stellt.

Das Wort für `zweifeln´, das ich in meinem Brief hier verwende, heißt wörtlich beurteilen, entscheiden, unterscheiden. Die Frage ist also: Wen lasse ich meine Lebensprobleme beurteilen, Gott in seiner Weisheit oder mich selbst in meinen stürmischen und wankelmütigen Gefühlen?

Unser Vater Abraham hat auch gelegentlich gezweifelt. Das ist ganz schonungslos berichtet in der Torah, aber er war eben grundsätzlich in der richtigen Richtung unterwegs. Deshalb ist er eines unserer großen Glaubensvorbilder. Oder der verzweifelte Vater, der schrie: ‚Ich glaube, hilf meinem Unglauben.‘ Er hatte Zweifel, aber er bewegte sich mitsamt seinen Zweifeln in die richtige Richtung: Hin zu Jesus unserem Herrn.“

Ich gehe also mit Vertrauen zu Gott und bitte aus diesem Vertrauen zu IHM um Weisheit.
Aber kannst du mir bitte erklären, warum du in deinem Brief hier auf das Thema ,arm und reich´ umschwenkst? Ist das ein neues Thema oder hat es auch etwas mit Versuchung zu tun?

„Armut und Reichtum sind zwei der wichtigsten Beispiele für alltägliche Prüfungen: Armut wird dabei eher als leidvolle Anfechtung und Reichtum eher als verlockende Versuchung erlebt.

Wenn ich in niedriger Stellung oder Armut lebe, nimmt diese Niedrigkeit leicht meinen ganzen Seelenhorizont ein, ich sehe überall nur Einschränkungen. Ich beurteile – um wieder das erwähnte Wort für ‚zweifeln‘ zu verwenden – mein Leben als armselig und zweifle dadurch an meiner Höhe oder Hoheit in meinem Gott. Da muss ich lernen, mir diese hohe Stellung immer wieder bewusst zu machen. Wenn ich mich ihrer rühme, lebe ich aus der Weisheit von Gott, stelle SEIN Urteil über meines. Dabei ist es egal, ob ich mich nur armselig fühle oder nach irgendwelchen Maßstäben meiner Zeit und Lebenswelt arm bin.

Und wenn ich reich bin oder mich für reich halte, wenn ich über Güter, Gesundheit, Begabung, Bildung, Beziehungen verfüge, gerate ich leicht in Versuchung, mich auf diesen meinen Reichtum zu verlassen und zu vergessen, wie vergänglich und – so gesehen – arm all das ist. Nichts davon bleibt. Auch der Reiche, dem es gut geht, soll Gottes Urteil über die Nichtigkeit des Reichtums über sein eigenes Urteil stellen und sich seiner Niedrigkeit bewusstwerden. Er soll sich sogar seiner Niedrigkeit ‚rühmen‘, denn nur im Bewusstsein seiner Niedrigkeit wird er empfänglich für die Perspektive auf Gottes ewiges Reich: ‚Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen‘, sagte unser Herr.“

Gut, in der Weisheit Gottes kann ich im Glauben den Versuchungen von Armut und Reichtum widerstehen und darf mich freuen, denn Er steht zu seiner Verheißung, dass er mich mit ewigem Leben krönt.
Dann sag mir jetzt bitte noch: Warum schreibst Du – obwohl du so überzeugt bist, dass wir Versuchungen als Grund zur Freude sehen sollen – dass wir nicht sagen sollen: ,Gott ist es, der mich versucht‘? Stellt Gott nicht in den jüdischen heiligen Schriften einige Male Menschen auf die Probe?

„Richtig, aber alle Stellen, die mir vor Augen stehen, kann ich nur so verstehen, dass Gott möchte, dass wir die Prüfung bestehen und eben daran wachsen, also Ausdauer entwickeln und schließlich zur Vollendung kommen.

Wenn wir sagen ,Gott ist es, der mich versucht‘, kann es leicht sein, dass wir dabei mitdenken ,Gott ist schuld an meiner Versuchung und lässt mich scheitern!‘ So ähnlich argumentierte Adam, als er versucht wurde und Gott ihn auf seinen Ungehorsam ansprach: ,Die Frau, die Du, Gott, mir gegeben hast als Gefährtin, die gab mir … und ich aß‘ also im Grunde ,Du selbst hast mich doch durch die Frau, die Du mir gabst, veranlasst, ungehorsam zu werden!‘

Und darauf sage ich: Nein, Gott lässt sich genauso wenig in Böses hineinziehen wie er mich in Böses hineinzieht. Da sollen wir uns nicht in die Irre führen lassen und die schiefe Bahn, auf die wir geraten können, Gott in die Schuhe schieben. Nein von IHM kommt nur alles Gute, jedes vollkommene Geschenk aus SEINEM Licht, das ohne Schatten und Flackern ist. Wenn wir IHM vertrauen, werden wir ins ultimative Leben hineingezeugt und schließlich hineingeboren.

Also mein Appell: Lass dich nicht auf eine Schwangerschaft ein, bei der aus deinen eigenen Begierden die Sünde bis hin zum Tod geboren wird, sondern auf eine Schwangerschaft, bei der du nach Gottes Willen durch das Wort der Wahrheit zu echtem Leben geboren wirst und lebst!“

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Wolfram Soldan, Mai 2023